Die Räumung von Lützrath - Sturm auf den Absperrzaun (14.01.2023)
von Fred Kowasch, Lützerath
14.01.2023
Ein bischen später losgefahren, denn noch regnete es in Strömen. Die südliche Autobahn bei Mönchengladbach komplett dicht. Deshalb von unten rangefahren. Via Köln, Kerpen und Holzweiler. Da war noch ein Parkplatz zu finden, obwohl mehr als 10.000 Menschen auf den Weg zur Demo waren. Kurz nach Holzweiler hing schon ein Helikopter in der Luft. Am Horizont Silvesterfeuerwerk. Nix wie hin. Über den Acker ging es auch mit guten Stiefeln nur sehr beschwerlich. Ist halt etwas anderes, wenn noch ein paar Kilos brauner Schlamm an den Füßen hängen.
Zum Glück nicht zu spät gekommen. Denn vor Ort ging es schon mächtig ab. Pyrotechnik, auf Polizeibeamte geworfen. Ein Leuchtspurgeschoss zischt nur ungefähr zwei Meter an meinem Kopf vorbei. Dann doch lieber mal den Helm aufsetzen. Es fliegt Dreck. Mal um Mal. Einer schreit: "Steine. Achtung Steine". Andere rufen: "Scheiss Bullen". Und: "Auf nach Lützerath!". Das Adrenalin am Anschlag. Auch wenn ich hier nur drehe. Der 'Schwarze Block' ist zahlreich vertreten. Gut 1.000 von ihnen könnten es sein. Ich höre viel Französisch. Besonders in der Situation, als gegen kurz nach zwei Uhr die Polizeiketten durchbrochen werden. Und die Menschen gen Lützerath rennen.
Am Zaun ist dann aber Schluß. Aggressive Cops, die die Schlagstöcke schwingen. Lautsprecherdurchsagen, dass gleich der Wasserwerfer eingesetzt wird. Polizeieinsatzwagen stehen Stoßstange an Stoßstange. Auf dem Rückweg sehe ich noch zahlreiche Verletzte. Einige von ihnen weinen, krümmen sich vor Schmerzen, halten sich ihre Rippen. Verantwortlich für den Einsatz: ein Polizeipräsident, der das Parteibuch der 'Grünen' besitzt.
Die Räumung von Lützerath - Wenn die Cops kommen (11.1.2023)
Dont belive the news. Make the news.
Vor Ort ist nicht immer alles so Hardcore. Sehr entspanntes 'Team-Blau' aus NRW (im Video) auf der Rückseite des besetzten Hofes 'Paula' in Lützerath. Dort haben sich die militanten Besetzer verschanzt. Wann sie geräumt werden - bisher unklar. Ein kurzer Eindruck vom Tag - die Cops haben die Lage im Griff. Wirken sehr entspannt: "Wir sind weiter, als wir dachten". Überall stehen am Nachmittag Grüppchen von NRW-Polizisten über das Camp verteilt. Zahlreiche Besetzer sind auf ihren Baumhäusern. Runter können sie nicht. In einem Durchgang befinden sich noch vier Menschen in - sogenannten - Lockons. Darunter ein Rollstuhlfahrer. Zug um Zug holen Klettercops Besetzer aus ihren Tri-Pods. Manch einer flüchtet dann auch mal auf das Dach einer Lagerhalle. Lediglich die L277 hinter dem Camps war am frühen Abend noch nicht geräumt. Das Gelände hat RWE abgesperrt. Hat rings herum einen zweifachen Zaun installiert, der von hunderten Sicherheitsleuten mit gelben Warnwesten bewacht wird. Reinkommen unmöglich. Auch nicht mit Presseausweis. Deshalb bleibt nur die Möglichkeit, sich am Standort Jackerath bei der Polizei Aachen zu akkreditieren. Sonst ist keine Berichterstattung möglich. Ist man erst einmal im umzäunten Gebiet, ist Filmen und journalistisches Arbeiten problemlos möglich. Insgesamt sollen, nach unseren - unbestätigten - Informationen mindestens 3.000 Polizisten rund um Lützerath eingesetzt sein.
update 12.01.2023
Am Nachmittag wurde der besetzte Hof 'Paula' von der Polizei geräumt. Nennenswerten Widerstand gab es keinen. Unterdessen haben sich die Arbeitsbedingungen vor Ort von Journalisten extrem verändert. Die Polizei Aachen weist mittlerweile darauf hin, dass Medienvertreter eine Art 'Abtretungsvereinbahrung' mit RWE unterschreiben müssen. Für den Fall, dass sie bei den Abbrucharbeiten in Mitleidenschaft gezogen werden würden. Im Klartext: ein Baum auf den Kopf fällt.
Die Räumung von Lützerath - Ein Spaziergang, Barrikadenbau, Steine
08.01.2023
Letzten Dienstag, diesen Sonntag. Es ist ein Unterschied wie Tag und Nacht. Während Holzweiler da weitgehend leer war - heute ist hier kaum noch ein Parkplatz zu bekommen. In Lützerath - Barrikade um Barrikade. Überall wird gewerkelt. Aus den drei bis vier Dutzend Aktivisten sind mehrere Hunderte geworden. Auch die Fraktion des 'Black Block' ist mittlerweile zahlreich vertreten. Doch, der Reihe nach.

Michael Zobel und Eva Töller - die früher die Waldspaziergänge am Hambacher Forst organisierten - führen die Spontandemo an. Es ist ein sehr gemischtes, sehr bürgerliches Publikum dass sich auf den Weg macht. Hunde, Kinder und ihre Mütter, Väter, Oma und Opa.
Zwischendurch wird öfters einmal angehalten und u.a. daran erinnert, dass die Zerstörung des Immerather Domes in der Nähe auf den Tag exakt fünf Jahre her ist. Es allerdings danach auch gelang, den Hambacher Forst zu erhalten. Jubel, bevor es weiter geht.


Dass Jahr hat kaum begonnen ....
Das neue Jahr ist keine zwei Tage alt, dann geht es in dem kleinen, besetzten Ort an der Kante zum Tagebau Garzweiler II schon rund. Nix wie hin. In der Morgendämmerung, ich nehme den Weg aus Richtung Süden, überall Straßensperren. Das Auto - an der Kirche in Holzweiler geparkt. Die restlichen zweieinhalb Kilometer gehe ich zu Fuß.
Ich könnte mich - als Journalist - auch bei der Polizei Aachen registrieren lassen. Bekäme dann ein blaues Leibchen zur besseren Erkennbarkeit vor Ort. Und würde - von 8 bis 17 Uhr - von den Behörden mit einem Schuttle nach Lützerath gefahren. Auf dieser Art von 'Embedded' verzichte ich. Die eigene Unabhängigkeit ist wichtiger. Da laufe ich lieber.
Kurz nach acht Uhr werkeln bereits die Baumaschinen - im Auftrag von RWE - an einer Straße rund um das Dorf. Dann übersteige ich ein paar Äste einer Barrikade. Dahinter zelebriert eine einzelne Frau ihre Morgen-Yoga. "Nicht erschrecken." Ein kurzes Gespräch über die Ereignisse vom Vortag. Hier erfahre ich auch, dass gestern Abend noch Aktivisten abgereist sein sollen. Nachdem es ein paar berennende Strohballen bis in die ARD-Tagesthemen geschafft hatten.

Lützerath. Ein Dorf am Abgrund. Ausgang offen.
Zwei Meter vor der Abbruchkante in Lützerath steht ein gelbes Schild. PÖBEL-KASTEN! hat jemand darauf mit roten Großbuchstaben geschrieben. Zehn Meter tiefen liegen sie, lose Blätter aus Papier zu Fliegern gefaltet. Mit handschriftliche Botschaften an RWE drauf. Hundert Meter daneben tummeln sich, an diesem milden Sonntagmittag, Dutzende Menschen. Einige von ihnen haben Plakate und Fahnen mitgebracht. ‚Stoppt Braunkohle’ ist zu lesen. Am Wendehammer neben der Mahnwache, dort wo die L 277 an einem Erdwall endet, spielt eine Band.

Viele, die sich hier zum Sonntagsspaziergang treffen, kennen sich. Zum Beispiel von den Protesten rund um den Hambacher Forst vor vier Jahren. Auch Michael Zobel ist gekommen. Mit seiner großen Statur und dem breiten Hut überragt er alle. Er, der jahrelang - zusammen mit seiner Lebensgefährtin Eva Töller - Sonntagsspaziergänge am Hambacher Forst organisiert hat, erzählt davon wie schwer es für ihn war, aus der Partei ‚Die Grünen‘ auszutreten. Wie ihn - nach seinem öffentlich gemachten Entschluss - noch zwei Wochen danach Zweifel befielen. Wie richtig letztendlich dann doch seine Entscheidung war.

Spätestens mit dem 4. Oktober 2022 ist der kleine Ort Lützerath (er liegt 20 Kilometer südlich von Mönchengladbach) zu dem Symbol der deutschen Klimabewegung geworden. An diesem Tag verkündeten ausgerechnet zwei Minister der Partei Bündnis 90 / Die Grünen - im Schulterschluss mit RWE - dass dieser Ort abgebaggert werden soll. Für die Gewinnung von Braunkohle. Und dass wohl schon bald.
In Lützerath sind die Zugänge zu den Resten des kleinen Dorfes durch Barrikaden blockiert. Daneben liegen lose graue Gehwegsteine. Aus dem Untergrund gerissen. Sie sind - in etwa - dreimal so schwer wie der klassische, 'normale' Pflasterstein. Den Altautonome noch von den Straßenschlachten rund um die Mainzer Straße in Berlin kennen. Und: in Lützerath sitzt man auch gern einmal vermummt hinterm Steuer. Auf dem Amaturenbrett fährt der abmontierte KfZ-'Führerschein'. Ein VW-Bus wirft neue Bewohner aus. Schwarz gekleidet selbstverständlich. Und: in das Dorfleben hinein.
Lützerath: Das nächste Symbol für die Klimabewegung
Die Kernaussage: RWE steigt bis 2030 aus der Kohleverstromung aus. Der Tagebau Garzweiler II wird - bis dahin - fortgeführt. Der Ort Lützerath wird geräumt und abgebaggert. Es dauerte nur wenige Minuten, dann ging es auf den Twitter-Accounts der verschiedenen Klima- und Umweltschutzinitiativen 'drunter und drüber'. Die vielleicht prägnanteste Aussage: "Wir haben den Hambi erfolgreich verteidigt. Mit Besetzungen, Menschenketten, Barrikaden, Steinen, riesigen Demos, nächtlicher Sabotage und einem langen Atem. Wir können auch #Luetzerath gemeinsam verteidigen. Fuck off #Habeck."
Zur Erinnerung: es war eine Melange aus engagierten Menschen aus dem bürgerlichen Milleus, radikalen Klimaschützern, Naturfreunden, Schülern und militanten Autonomen. Die im Herbst 2018 für den Erhalt des Hambacher Forstes in NRW kämpften. So manchen Sonntag wurden im Wald gemeinsam Barrikaden gebaut. Bei jedem Wind und Wetter. Omas und Opas durchbrachen Polizeiketten. Wie es im Video gut zu sehen ist.
Für die Räumung von Lützerath haben mittlerweile Tausende angekündigt, Widerstand zu leisten. interpool.tv wird darüber berichten.